Samstag, Dezember 13, 2008

Wissenschaftler sind auch nur Kinder

Nachdem nun der Hassbeauftragte schon bloggt, habe ich mich entschlossen auch mal wieder meine geistigen Ergüsse in den Äther zu stellen. Zudem muss die deutsche Sprache geübt werden. Subjektiv mangelt es der englische Sprache an "grip", was sich auf das Denken überträgt. Denken und Sprache sind untrennbar miteinander verknüpft - das glaubt der Pragmatiker und Psycholinguist und das denke ich. Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen, und einen Einfluss der Sprache auf das Sein, entschuldige den Heidegger'ismus', das Selbstbild propagieren. Jedenfalls ist es an der Zeit, dass Gedanken deutschsprachlich geschliffen werden, bevor die Weichheit der englischen Sprache von meinem Wesen Besitz ergreift. 

Nach etwas mehr als einem halben Jahr in der Wissenschaft wundert es mich immer noch wieviel Ignoranz sich mancherorts selbst innerhalb einer einzigen Disziplin breitgemacht hat. 

Sollte Wissenschaft nicht zumindest nach Objektivität streben, auch wenn das Ziel unerreichbar scheint? Sollten Zugehörigkeiten zu einzelnen Schulen und persönliche Eitelkeiten nicht hinter das Ziel des Erkenntnisgewinns angestellt werden?

Offenbar ist diese Haltung keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht bin ich auch einfach zu idealistisch und werde in einigen Jahren eine Kehrtwendung zum "old grumpy bastard" machen, dessen Bitterkeit nur noch von seinem Zynismus übertroffen wird. Noch bezweifle ich, dass das je geschehen wird. Aber man sollte nie unterschätzen, wozu man fähig sein könnte.  (Man beachte, dass ich schon nicht mehr ohne englische Einstreuungen auskomme. Old grumpy bastard - Alter grätiger Sack?).

Um die oben getroffene Aussage zu untermauern, sollte ich vielleicht etwas Hintergrundinformation zu "meiner" Wissenschaft geben.

Das Projekt: Bringe Roboter dazu durch Interaktion mit einem menschlichen Dialogpartner, die Sprache des Dialogpartners zu lernen.

Mein Schwerpunkt: Bringe den Roboter dazu negative Sprechakte zu lernen: Ablehnung, Verbot, Widerspruch, Verneinung. Kurzum: mache den Roboter menschenähnlicher, grätiger, unvorhersehbarer.

Die Methode: Man nehme Theorien aus der analytischen Philosophie, der Linguistik (vor allem der Pragmatik), der Psycholinguistik und der Psychologie des frühkindlichen Spracherwerbs, passe diese auf die "Lebenswelt" des Roboters and und gieße sie in algorithmische Form. 

Wie an der Methode gesehen werden kann, ist das Unternehmen hochgradig interdisziplinär und hochgradig ambitioniert - man könnte auch sagen: zum Scheitern verurteilt. 

Nach etwas mehr als einem halben Jahr in diesem Bereich, nach dem Besuch von diversen Workshops, nach dem Besuch von Psychologie-, Philosophie- und Robotikvorlesungen sind die Erfahrungen vielfältig.

Einsicht Nummer 1: Ich bin allein in meinem radikal interdisziplinären Ansatz.

Warum radikal?

Ich versuche, meine Ausgangsposition möglichst offen zu halten. Ich versuche zu vermeiden, mich einer Schule anzuschließen, bevor ich keinen halbwegigen Überblick über alle existenten Schulen habe. Ein voreiliges Rennen in eine Richtung könnte fatale Auswirkungen haben. Wenn die Grundarchitektur steht, muss ich damit leben und mit allen grundsätzlichen Mängeln die potentiell darin enthalten sind. 

Warum allein? 

Alle Projektpartner, die ich bislang getroffen habe, scheinen einer Schule anzugehören, die meisten sogar derselben: Psychologische Pragmatisten in der Art von Tomasello und Kognitionswissenschaftler, die sich auf neuronale Netze spezialisiert haben. Gemeinsam ist ihnen die Ablehnung von Chomskys Rationalismus, die Ablehung einer Universalgrammatik - Sprache kann "from scratch" gelernt werden. Alle Fragen an meinen Professor nach dem "big picture" erhielten bislang eine Antwort in der Art, dass es wohl möglicherweise keinen gäbe, der die veschiedenen Schulen zu vereinen suchte bzw. deren genaue Unterschiede herauszuarbeiten. 

Daher Einsicht Nr. 2: Wissenschaftler sind auch nur Kinder, und zwar keine von der guten Sorte.

Der Artikel der Standford Encyclopedia of Philosophy über > "Sprechakte" scheint dies zu bestätigen. Sprechakt-Theoretiker, ihres Wesens nach vor allem Philosophen, und Pragmatiker à la Grice, jene im Wesentlichen Linguisten, scheinen sich über Jahrzehnte wissenschaftlich vor allem ignoriert zu haben. Es brauchte nahezu dreißig Jahre, bis der erste versucht hat Teilaspekte der beiden Theorien zu vereinen, die so augenfällig die geichen Phänomene zu erklären versuchen, dass man im juristischen Jargon wohl kaum mehr von Fahrlässigkeit sondern eher von Vorsatz sprechen würde, was die Ignoranz der jeweils anderen Theorie anbelangt.

Und dies ist nur ein Beispiel. In der Psychologie sieht es kaum besser aus. 

Oh Wittgenstein, was hättest Du dazu gesagt? Woher all diese Ignoranz, woher all der Hochmut? 

Hoffen wir, dass ich schlichtweg zu dämlich bin, um sehen, dass die Ignoranz gerechtfertig und die Schulen prinzipiell unvereinbar sind, womit mein Vorhaben sinnlos wäre. 

Denn alles alles andere könnte nur eins bedeuten: Viele Wissenschaftler sind auch nur kleine grätige Kinder, die auf ihrer jeweiligen Position verharren, dass Superman besser und stärker ist als Spiderman bzw. anders herum. 

Bin ich also ein Ketzer in meiner Weigerungshaltung, mich blind der Schule meiner Projektpartner anzuschließen? Wo sind die anderen Rebellen? Und warum kann mir mein Professor nicht das "big picture" liefern, nach dem es mich dürstet? 

Und wo ist der nächste Wittgenstein, der den Koryphäen unserer Zeit mal ordentlich philosophisch den Arsch versohlt?